ELFTES BILD • IN LONDON
Markt zwischen dem Tower und der Themse. Eine bunte Menge flutet lärmend hin und her. Adam in gereiftem Alter steht mit Luzifer auf einer Bastei des Towers. Gegen Abend.
CHOR
Zusammengeschmolzen aus dem Brausen der lärmenden Menge und von leiser Musik begleitet.
Lebensmeeresfluten brausen,
Jede Welle eine Welt.
Hast du Angst, wenn jene aufsteigt,
Dauerts dich, wenn diese fällt?
Fürchtest bald, daß dich, den Einen,
Volkes Masse ganz verschluckt,
Bald, daß vor dem starken Einen
Millionen sich geduckt.
Heute bebst du für die Dichtung,
Morgen wirds das Wissen sein,
Und ins Maß der engen Ordnung
Schließest du die Wogen ein.
Und wie du auch kämpfst und ringest,
Nichts als Wasser schöpfest du,
Das erhabne Meer braust tosend
Weiter und lacht immerzu.
Laß es brausen, bis das Leben
Um sich selbst die Dämme zieht,
Nichts im Kampfe geht verloren,
Altes wird stets neugeboren,
Höre, lockend tönt sein Lied.
ADAM
Das ists, wonach ich immer lechzte.
Ein Chaos war mein Weg bislang,
Jetzt steht vor mir das volle Leben,
Erhebend schön ist sein Gesang.
LUZIFER
Schön aus der Höh, wie ein Choral:
Klagen, Seufzen, heisre Stimmen
Im Flug zur Melodie verschmelzen.
So hörts auch Gott, drum meint er auch,
Es sei ihm gut die Welt gelungen.
Doch unten müßt es anders klingen,
Da tönt hinein des Herzens Schlag.
ADAM
Du Spötter, ist nicht diese Welt
Schöner als die, durch die du mich gezerrt?
Die moosigen Mauern sind zerborsten,
Verschwunden sind die Schreckgespenster,
Die glorienumstrahlt der Zukunft
Vergangenheit als Erbfluch ließ.
Frei ist die Bahn für alles Tun hienieden:
Kein Sklave baut mehr Pyramiden.
LUZIFER
Auch in Ägypten wär der Sklaven
Stöhnen nicht so hoch gedrungen,
Und doch sind göttlich diese Werke!
Und in Athen hat das erhabne
Volk nicht würdig, groß gehandelt,
Als es den Liebling aufgeopfert,
Weil sonst das Land gefährdet war?
Wer von so hoch die Welt betrachtet,
Hat Weibernänen nie beachtet.
ADAM
So schweig, du ewiger Sophist!
LUZIFER
Das Jammern ist zwar ausgestorben,
Dafür ist alles so verflacht.
Wo lockt die Höh? wo schreckt die Tiefe?
Wo ist des Lebens süße Farbigkeit?
Der hellen Meeresflut es nimmer gleicht,
Ein glatter Sumpf ists, wo die Kröte laicht.
ADAM
Das allgemeine Wohl entschädigt.
LUZIFER
Von deinem hohen Sitz beurteilst
Auch du das Leben dir zu Füßen,
Wie Weltgeschichte das Vergangne.
Sie merkt kein Heulen, heisres Reden,
Nur der Vergangenheit Gesang.
ADAM
Sieh, auch der Satan wird romantisch,
Wird doktrinär: o welcher Fortschritt.
LUZIFER deutet auf den Tower.
Kein Wunder, da auf dem Gespenste
Wir stehn der Urzeit, in der neuen Welt.
ADAM
Der morsche Standpunkt taugt mir auch nicht,
Ich steig hinab kühn in die neue Welt
Und fürchte nicht, sie bar der Dichtung
Zu finden und des großen Denkens.
Mag sein, sie künden sich nicht mehr
In Urtitanenkämpfen himmelstürmend:
Berückender und segensvoller
Erstehn sie im bescheidnen Kreis.
LUZIFER
Es wär auch unnütz, drum besorgt
Zu sein. Solang der Stoff besteht,
Lebt meine Macht, ihm als Verneinung,
Im Kampf mit ihm. Und auch solang
Gehirne denken, Herzen fühlen
Und Ordnung eindämmt die Gelüste,
Lebt als Verneinung in der Geisteswelt
Die Dichtung und das große Denken.
Doch welche Maske wär zu wählen,
Wenn wir hinab in diesen Trubel steigen?
Denn diese hat nur hier Bestand,
Wo uns der Hauch vergangner Zeit umweht.
ADAM
Mir ist es gleich. Es gibt zum Glück
Kein Überragen mehr. Wir müssen
Zum Volk hinab, um, was es fühlt, zu wissen.
Beide gehen ins Innere des Towers hinab und treten alsbald aus seinem Tor, als Arbeiter gekleidet, und mischen sich unter die Menge. Ein Puppenspieler steht vor seiner Bude, auf der ein Affe in roter Uniform angekettet sitzt.
PUPPENSPIELER
Hereinspaziert, geehrte Herrn!
Das Puppenspiel beginnt sogleich.
Possierlich ist es anzusehn,
Wie überlistet hat die Schlange
Das erste neugierige Weib,
Als es den ersten Mann verlockte.
Hier ist zu sehn ein flinker Affe:
Wie würdig spielt er seinen Herrn;
Hier ist zu sehn der Meister Petz,
Der sich empfiehlt als Tanzmaestro.
Hereinspaziert, geehrte Herrn!
Gedräge bei der Bude.
LUZIFER
Sieh da, die reden gar von uns!
Ists, Adam, denn nicht wunderbar,
Wie unser Fall die frohe Jugend
Ergötzt nach sechzighundert Jahren?
ADAM
Laß diesen abgeschmackten Spaß.
LUZIFER
Abgeschmackt? Sieh, wie sie gröhlen,
Die rosigen Jungen, die vor kurzem
Bei Nepos in der Schulbank schliefen.
Und kannst du sagen, wer hat Recht:
Die mit erwachter Kraft Bewußtsein
Ins Leben treten, oder die
Mit morschem Hirne es verlassen?
Gefällt ein Shakespeare besser dir
Als ihnen dieses wirre Fratzenspiel?
ADAM
Die Fratze ist es, die ich hasse.
LUZIFER
Das blieb dir aus der Griechenwelt.
Sieh, ich, der Vater oder Sohn
- Bei Geistern ist das fast das Gleiche -
Der neuen Richtung, der Romantik,
Ich freue grade mich der Fratze:
Des Menschen Züge: Affenschrift;
Unrat, der das Erhabne trifft;
Verrenktes Fühlen, ehrlich Kleid;
Von einer Dirne Lob der Züchtigkeit;
Beräucherung des nichtig Kleinen,
Lust, nach der die Greise fluchend weinen:
Dies tröstet mich, daß hin mein Reich,
In neuer Form ersteh ich gleich.
PUPPENSPIELER klopft Adam auf die Schulter.
Schert euch von diesem guten Platz!
Umsonst spielt nur dem Publikum,
Wer lebensmüd sich hängen läßt.
Adam und Luzifer stellen sich beiseite. Ein kleines Mädchen kommt und bietet Veilchen an.
KLEINES MÄDCHEN
Des guten Frühlings erste Boten
Sind diese Veilchen. Kauft von mir!
Sie geben Brot dem Waisenkinde
Und auch dem Armen schöne Zier.
EINE MUTTER kauft Veilchen.
Meinem toten Kinde auf die Bahre.
EIN MÄDCHEN kauft ebenfalls.
Der schönste Schmuck für dunkle Haare.
KLEINES MÄDCHEN
Kleine Veilchen! Kauft, ihr Herrn!
Sie geht vorüber.
EIN JUWELIER in seiner Bude.
Daß uns dies Unkraut immer schädigt!
Es will nicht aus der Mode kommen.
Auf schöne Nacken passen doch
Nur teure Perlen, die der Taucher
Heraufholt aus des Meeres Tiefe,
Aus wilder Ungeheuer Mitte.
Zwei Bürgermädchen kommen.
ERSTES BÜRGERMÄDCHEN
Vor der Bude eines Juweliers.
Welch teure Stoffe und Juwelen!
ZWEITES BÜRGERMÄDCHEN
Ein Käufer sollte uns nicht fehlen.
ERSTES BÜRGERMÄDCHEN
Ein Mann beschenkt uns heutzutag
Nur, wenn er Böses von uns mag.
ZWEITES BÜRGERMÄDCHEN
Auch dann nicht! Krank ist ihr Geschmack
Von Kaviar und Dirnenpack.
ERSTES BÜRGERMÄDCHEN
Sie sind zu stolz, nach uns zu fragen.
ZWEITES BÜRGERMÄDCHEN
Vielleicht zu feige, sich heranzuwagen.
Unter einer Laube werden Getränke ausgeschenkt; um den Tisch herum sitzen zechende Arbeiter. Weiter im Hintergrunde Musik und Tanz. Soldaten, Bürger und allerlei Volk unterhält sich und gafft.
GASTWIRT unter seinen Gästen.
Nur froh! Das Gestern ist vorbei,
Man weiß nicht, was man morgen trifft.
Gott nährt die kleinen Vögel, und
„Alles ist eitel” sagt die Schrift.
LUZIFER
Mir leuchtet diese Weisheit ein.
Von dieser Bank hier laß uns sehn,
Wie gut das Volk sich amüsiert
Bei schlechten Klängen, saurem Wein.
ERSTER ARBEITER am Tisch.
Maschinen sind des Teufels Werk:
Sie reißen uns das Brot vom Munde.
ZWEITER ARBEITER
Hab ich zu trinken, hols der Teufel.
ERSTER ARBEITER
Der Reiche saugt uns aus, ein Satan.
Ich möcht ihn gleich zur Hölle schicken,
Ein solches Beispiel täte öfters not.
[DRITTER ARBEITER]
ZWEITER ARBEITER
Ach, Quatsch! Soll nur der Reiche kommen,
Ich tu ihm nichts und setz ihn her.
Wir wollen sehen, wer der Herr ist
Und wer sich besser unterhält.
GASTWIRT zu Adam.
Mein Herr, was steht zu Diensten?
ADAM
Nichts.
GASTWIRT
Fort, Tagediebe, von der Bank!
Ihr glaubt, ich hab mein Geld gestohlen?
Soll Weib und Kind mir betteln gehn?
ADAM steht auf.
Du wagst mit mir so -
LUZIFER
Laß den Schuft!
ADAM
So komm, ich will nicht länger sehn,
Wie sich der Mensch zum Tier Erniedrigt.
LUZIFER
Ah, hier ist, was ich lange suche.
Hier gibt die Fröhlichkeit sich zwanglos,
Das Poltern und das wilde Lachen,
Das Flackern bacchanalischen Feuers,
Das alle Wangen rot entflammt:
Ja, hirngespinstberauschtes Elend.
Ist das nicht schön?
ADAM
Für mich abscheulich.
Unterdes sind sie zu den Tanzenden getreten. Zwei Bettler kommen zankend.
ERSTER BETTLER
Der Platz ist mein, hier die Lizenz.
ZWEITER BETTLER
Erbarme dich, sonst muß ich sterben.
Seit Wochen kann ich nichts mehr tun.
ERSTER BETTLER
So bist du gar kein echter Bettler!
Du Pfuscher, fort, ich ruf die Polizei.
Der zweite Bettler schleicht davon, der erste nimmt seinen Platz ein.
Bei Christi Wunden, eine Gabe
Dem armen Siechen, liebe Herrn!
Ein Soldat nimmt einem Handwerksburschen die Tänzerin fort.
SOLDAT
Fort, Bauer! Glaubst du denn, auch du
Seist Jemand?
ERSTER HANDWERKSBURSCHE
Freund, du wirst es fühlen,
Wenn dus nicht glaubst.
ZWEITER HANDWERKSBURSCHE
Lass ihn: weich aus,
Sein ist die Macht und Herrlichkeit.
ERSTER HANDWERKSBURSCHE
Er saugt uns wie ein Egel aus
Das Blut und ist noch frech dazu.
EINE DIRNE singt.
Einst, als es noch Drachen gab,
Jagte man die goldnen Apfel
Ihnen ab.
Drachen gibt es keine,
Äpfel doch noch feine,
Wer sie angafft und nicht pflückt,
Ist verrückt.
LUZIFER sieht den Tanzenden interessiert zu.
Sieh, die Koketterie gefällt mir.
Der Reiche zeige seinen Schatz.
Die Eisentruhe, die der Geizhals hütet,
Kann Sand so gut wie Schätze bergen.
Des Bengels Eifersucht ist rührend!
Wie er ihr jeden Blick verwehrt:
Der kennt wohl der Minute Wert.
Wenn er auch weiß - ihn läßt es kalt -:
In fremden Armen liegt sie bald.
ADAM zu einem Musikanten.
Wozu verhunzt du, Mensch, die Kunst?
Gefällt dir selber, was du spielst?
MUSIKANT
Ach nein! Mit grenzenloser Qual
Spiel ich es Tag für Tag und seh,
Wie sie sich jauchzend dran ergötzen.
In meinen Traum selbst dringt der Klang.
Sonst kann ich nichts und leben muß ich.
LUZIFER noch immer in den Anblick vertieft.
Wer hätte diese gute Weisheit
Gesucht bei flatterhafter Jugend?
Das Mädchen weiß, nicht diese ist
Die letzte Lustminute ihres Lebens;
Während sie küßt, sucht schon ihr Auge
Den neuen Liebsten. - Teure Kinder,
Wie freu ich mich jetzt euretwegen,
Daß ihr so lächelnd wirkt für mich:
Schuld und Elend sei mein Segen.
ZWEITER HANDWERKSBURSCHE singt.
Arbeitswochen, schwer und lang!
Wer dann heiter, mit Gesang,
Wein und Küssen fröhlich ist,
Lacht ob aller Teufelslist!
Man hört die Schlußakkorde einer Kirchenmusik. Eva als Bürgermädchen, mit einem Gebetbuch und einem Blumenstrauß in der Hand, kommt mit ihrer Mutter aus der Kirche.
EIN HÄNDLER
Nur her, mein liebes, schönes Fräulein,
So billig finden Sie es nirgend.
ZWEITER HÄNDLER
Er mißt mit falschem Maß, führt alten
Kram. Hierher, mein schönes Fräulein!
ADAM
Ach, Luzifer! du fesselst mich
An diese Stätte und mein Heil
Schwebt dort fast unbemerkt vorüber.
LUZIFER
Ich kenne dich von dieser Seite!
ADAM
Wie schön! Sie tritt jetzt aus der Kirche.
LUZIFER
Sie wollte sehn und auch gesehen werden.
ADAM
Berühr sie nicht mit kaltem Hohn,
Noch schwebt ihr Andacht auf den Lippen.
LUZIFER
Bekehrst du dich, wirst Pietist sogar?
ADAM
Ein schaler Witz. Wenn mein Gemüt
Vereist, so macht es mich nur elend;
Doch Mädchen sollen noch den Glauben
Als Poesie und als Musik
Entschwundner Zeiten sich erhalten,
Als unberührten Blütenstaub.
LUZIFER
So zeige mir dies Stückchen Himmel.
Selbst für den Teufel wärs zu schwer,
Was dir gefällt, stets aufzustöbern.
Genug, er schanzt es dir dann zu.
ADAM
Wie könnt es eine andre sein?
LUZIFER
So spricht der Specht auch, der erhascht
Den Wurm, er blickt besorgt umher
Und glaubt, dies sei der beste Bissen,
Der Taube aber ists ein Abscheu.
So auch der Mensch. Er findet oft
Sein Heil gerad an jener Stelle,
Wo einen andern plackt die Hölle.
ADAM
O Würde, o Jungfräulichkeit!
Ich wage kaum, mich ihr zu nahn.
LUZIFER
Nur Mut, du bist bei Fraun bewandert
Und sie wird auch zu kaufen sein.
ADAM
Schweig!
LUZIFER
Höchstens teurer als die andern.
Ein Jüngling tritt unterdes bescheiden an Eva heran und reicht ihr ein Lebkuchenherz.
JÜNGLING
Empfangen, Fräulein, Sie das Herz,
Wie ich es gebe: von Herzen gern.
EVA
Wie gut Sie sind, Sie denken meiner.
MUTTER
So selten lassen Sie sich blicken.
Sie plaudern leise. Adam sieht erregt zu, bis der Jüngling fortgeht.
ADAM
Soll dieser Grünling flugs besitzen,
Wonach der Mann vergebens bangt?
Wie lächelt sie ihm so vertraulich!
Sie winkt ihm nach - o welche Pein!
Ich sprech sie an!
Er nähert sich Eva.
MUTTER
Ja, seine Eltern
Sind reich, doch wissen müßte man,
Ob ihnen euer Bund genehm.
Drum halte warm den Nebenbuhler,
Der heute auch dir Blumen sandte.
ADAM
Verehrte Damen, darf ich Ihnen
Behilflich sein durch dies Gedränge?
EVA
Wie unverschämt!
MUTTER
Zudringlicher!
Sie glauben, dieses Mädchen wäre
Für jeden Schmeichler vogelfrei?
ADAM
Das Ideal der Weiblichkeit
Hab ich, bei Gott, mir so erträumt!
MUTTER
Sie können träumen, was Sie wollen,
Doch dieses Mädchens Reize blühen
Keinesfalls für Ihresgleichen.
Adam steht verlegen da, ein Zigeunerweib tritt zu Eva.
ZIGEUNERIN
O tausendschöne junge Dame,
Sie Schönste wohl im ganzen Land,
Ich will Ihr Zukunftsglück erkunden
Aus dieser kleinen weißen Hand.
Sie sieht in Evas Hand.
Ein schöner Bräutigam ist nah,
Gesundheit, Kinder, Geld sind da.
Sie bekommt Geld.
LUZIFER deutet auf Adam.
Auch dem da künde sein Geschick.
ZIGEUNERIN
Ich seh nicht: Hunger oder Strick.
ADAM zu Eva.
Ach, weisen Sie mich nicht von sich,
Ich fühl Ihr Herz für mich erschaffen.
EVA
Hilf, Mutter!
MUTTER
Wenn Sie sich nicht trollen,
Ruf ich die Wache.
EVA
Laß ihn laufen,
Nichts Böses hat er ja getan.
Sie gehen vorüber.
ADAM
Ist alle Poesie verschwunden
Aus dieser Welt der Nüchternheit?
LUZIFER
Wieso? Und dieser Honigkuchen,
Der Blumenstrauß, der Tanz, die Laube,
Was war es sonst? Sei nur nicht zimperlich:
Dann gibts zum Schwärmen noch genug für dich.
ADAM
Was nützt es aber, wenn bei ihnen
Gewinnsucht lauert und erhabne
Selbstlosigkeit sich nirgends findet.
LUZIFER
Ja, in der Schulbank noch mitunter,
Wo keinen Unfug trieb das Leben.
Da kommen grad ein paar Gesellen.
Einige Schüler kommen.
ERSTER SCHÜLER
Lustig, ihr Jungen, den Schulstaub vergessen,
Laßt uns den Wind um die Nase wehn.
ZWEITER SCHÜLER
Hinaus ins Freie, ich hasse die Stadt,
Die enge Ordnung, die Krämerwelt.
DRITTER SCHÜLER
Wir wollen mit jemandem Händel suchen,
Das ist ein erregender, männlicher Sport.
ERSTER SCHÜLER
Wir rauben den Kriegern aus den Armen
Die Mädchen, und gleich gibts wieder Krieg;
Dann stürmen wir mit ihnen ins Grüne,
Wir haben ja Geld für Bier und Musik.
Am Abend sind wir siegestrunken,
Mit roten Wangen wie echte Prinzen.
VIERTER SCHÜLER
Herrlich! Ärgern wir die Philister!
ERSTER SCHÜLER
Schließen wir fester des Bundes Ketten,
Radau zu treiben nach Herzenslust,
Bis wir uns einst fürs Land begeistert
Auf edlerer Walstatt behaupten können.
Sie gehen vorüber.
ADAM
In platter Zeit ein lieber Anblick.
Ich ahn die Keime schönerer Zukunft.
LUZIFER
Wirst sehn, wozu der Keim erblüht,
Wenn er den Schulstaub abgeschüttelt.
Auch diese Fabrikanten waren
Ja einst, was jetzt die Jungen sind.
Zwei Fabrikanten kommen im Gespräch.
ERSTER FABRIKANT
Die Konkurrenz ist unerträglich.
Wohlfeile Ware wünscht jetzt jeder.
Ich muß die Qualität verschlechtern.
ZWEITER FABRIKANT
Man muß die Arbeitslöhne drosseln.
ERSTER FABRIKANT
Das geht nicht. Diese Hunde murren
Schon jetzt, daß sie nicht leben können,
Und etwas ist ja an der Sache.
Wer heißt sie doch, ein Weib zu nehmen,
Und müssen sie sechs Kinder haben?
ZWEITER FABRIKANT
Es gilt, sie stärker einzuspannen.
Die halbe Nacht ist fest zu schuften,
Genug, es ruht die andre Hälfte,
Wer sich kein Träumen leisten kann.
Sie gehen vorüber.
ADAM
Fort! Warum muß ich sie sehn?
Doch sag, wo ist das Mädchen hin?
Jetzt, Luzifer, zeig deine Macht,
Hilf, daß sie mich erhör!
LUZIFER
Auf solch
Ein Nichts verschwend ich keine Kraft.
ADAM
Was dir ein Nichts, ist mir die Welt.
LUZIFER
Gewinn sie also. Zähme nur
Dein Fühlen! Keine Angst vor Lügen!
Antworte mir geschickt und sie wird dein.
Laut, damit es die hinter ihnen horchende Zigeunerin höre.
Sie sehn, Mylord, gar peinlich ists,
Verkleidet unters Volk zu gehn.
Man wird auf Schritt und Tritt beleidigt.
Ja, wenn die ahnten, daß aus Indien
Noch heute uns vier Schiffe landen,
Sie wären anders uns begegnet.
ADAM
Gewiß!
ZIGEUNERIN beiseite.
Das bringt mir schönes Geld!
Zu Adam:
Ein Wort, Herr. Sie verbargen sich,
Ich strafte Sie mit meinem Spuch.
Für mich gibts kein Geheimnis, denn
Ich bin mit Satan längst verbündet.
LUZIFER beiseite.
Das könnt ich brauchen, alte Vettel!
ZIGEUNERIN
Heut kommen Ihre Schiffe an.
Doch mehr: ich weiß ein schönes Mädchen,
Das voller Glut nach Ihnen schmachtet.
ADAM
Wie wird sie mein?
ZIGEUNERIN
Sie ist es fast.
ADAM
Sie wies mich ab.
ZIGEUNERIN
Gerad darum.
Sie kommt in kurzer Zeit hierher,
Mein Wort sei Ihnen die Gewähr.
Ab.
ADAM
Die Hexe, Luzifer, beschämt dich.
LUZIFER
Ihr Verdienst steht außer Zweifel,
Sie vertritt jetzt gut den Teufel.
Ein Scharlatan erscheint trompetend, von der Menge umringt, auf einem Karren und bleibt in der Mitte der Szene stehen.
SCHARLATAN
Macht Platz! Respekt und keinen Laut!
Mein Kopf ist, wie ihr seht, ergraut,
Bis der Natur mit Fleiß und Wissen
Ich manch geheimen Schatz entrissen.
ADAM
Wer ist der wunderliche Narr?
LUZIFER
Die Wissenschaft muß täuschen; um zu leben,
Wie einst, als du Gelehrter warst.
Doch muß der Lärm jetzt größer sein.
ADAM
In solchem Maße trieb ichs nie!
O Schmach!
LUZIFER
Das ist nicht sein Vergehn.
Er fürchtet, einst auf seinem Grabe
Könnten diese Worte stehn:
Ex gratia speciali
Mortuus in hospitali,
Wenn andern opfernd Nacht und Tag
Er endlich wünscht der Müh Ertrag.
SCHARLATAN
Ich mühte mich für Menschenheil
Und herrlich ist, was ich erfand:
Das ist das Lebenselixier,
Bringt Jugend wieder, die entschwand.
Dies hatte Pharao in Gebrauch,
Seht Tankreds Liebestrank hier auch.
Dies Mittel fehlte der Helena nie.
Hier habt ihr Keplers Astrologie.
ADAM
Hörst du? Wir suchen in der Zukunft
Den Glanz und er im längst Vergangnen.
LUZIFER
Die Gegenwart wird nie geehrt,
Wie Größe nicht im Negligée.
Am Weib ist jede Sommersprosse
Uns wohlbekannt nach langer Ehe.
SCHARLATAN
Kauft, noch keinen hats gereut,
Heut habt ihr noch Gelegenheit.
AUS DER MENGE
Her damit! Noch eins darauf!
Welches Glück! Welch guter Kauf!
LUZIFER
Du siehst, das Volk begrub den Glaubensplunder,
Doch jeder rauft sich um das Wunder.
Eva kommt mit ihrer Mutter zurück, die Zigeunerin folgt ihnen flüsternd.
EVA
Du Schwätzerin! Wir kennen dich!
ZIGEUNERIN
Ich soll verdammt sein, wenn ich lüge!
Der Herr ist so verliebt, daß er
Sie heut noch zur Mätresse nimmt.
Sie werden ein Palais bewohnen,
Vierspännig ins Theater fahren.
MUTTER
Wohl überlegt ists besser als
Unter der Haube hinzuwelken
In einer eklen Schusterwerkstatt.
ZIGEUNERIN
Dort steht er. Sehn Sie, wie er sucht!
EVA
Nicht schön, daß er mich nicht erblickt.
Die Hand ist fein, die Haltung edel.
MUTTER
Auch sein Begleiter ist nicht übel:
Trotz Hakennas und krummer Beine
Ein ältrer Herr von großem Anstand.
Ich geh, mein Kind. Am besten macht sichs,
Ich laß ein wenig euch allein.
ZIGEUNERIN zu Adam.
Dort ist die Schöne. Wie sie schmachtet!
ADAM
Ich flieg zu ihr. O welche Wonne!
ZIGEUNERIN
Auch meiner Müh sei nicht vergessen.
LUZIFER gibt ihr Geld.
Vom Freund das Geld, von mir die Hand.
ZIGEUNERIN aufkreischend.
Wie hart!
Ab.
LUZIFER
Du würdest Wonne spüren,
Wärst du die Hexe, die du spielst.
EVA zu Adam.
Sie könnten mir ein Angebinde
Verehren: dieses Schönheitsmittel…
ADAM
Der Zauber deiner Weiblichkeit
Ist wohl ein Mittel ohnegleichen.
Unterdes zieht der Scharlatan ab.
EVA
Sie sind zu gütig.
ADAM
Du beschämst mich!
Ich häng dir Perlen um den Hals,
Brillanten, nicht um ihn zu schmücken,
Doch daß sie sprühn am schönsten Ort.
EVA
Dort drüben sah ich Juweliere,
Das ist zwar nichts für arme Mädchen.
ADAM
So sehn wirs an.
LUZIFER
Ganz überflüssig.
Ich trage schönen Schmuck bei mir.
Er überreicht Eva Geschmeide, das sie mit großer Freude betrachtet und anlegt.
EVA
Wie schön, wie wird man mich beneiden!
ADAM
Doch dieses Herz will ich nicht sehn.
EVA
Ich werf es fort, wenn Sies nicht mögen.
LUZIFER
Ganz recht. Ich trete drauf.
Er tritt auf das Herz.
[EVA]
Was war das?
Ein Schrei? Vielleicht nur eine Täuschung?
Unterdes wird auf einem Karren ein Armersünder über die Szene gefahren, Volk drängt ihm nach.
AUS DER MENGE
Geschwind! - Ich sage, daß er feig ist! -
Wie trotzig immer noch! - Ihm nach!
ADAM
Was soll der Lärm, der Riesentrubel?
EVA
Es wird gehenkt. Wie gut, daß wir
Zur Stelle sind. Wir wollen mit.
Der Anblick ist ja so erregend
Und ich kann gleich im Schmucke strahlen.
ADAM
Was ist des Armen Schuld?
EVA
Ich weiß nicht.
LUZIFER
Das ist egal, doch ich erzähle:
Bei Lovel stand er lang in Arbeit,
Er atmete das giftige Blei
Und kam dann ins Spital auf lange.
Sein Weib geriet in Not. Doch jung
Und gütevoll war Lovels Sohn,
Sie fanden sich, vergaßen alles.
ERSTER ARBEITER
Sei fröhlich: stirb als Märtyrer!
Als Beispiel leuchtet uns dein Name.
LUZIFER
Der Mann genas, fand nicht sein Weib;
Der Platz besetzt; vergebens fleht er
Um Arbeit, Brot, - empört sich schließlich.
Ein Schlag: des jungen Lovels Antwort.
Der wilde Kerl erwischt ein Messer:
Der alte Lovel wird verrückt!
Bei dem letzten Wort kommt der alte Lovel in wahnsinniger Melancholie.
LOVEL
Du lügst. Verrückt, ich? Hör ich nicht,
Was meines Sohnes Wunde flüstert?
Nimm all mein Geld, nur mach, daß ich
Nichts höre. Lieber dann verrückt!
DRITTER ARBEITER
Du fürcht dich nicht, du wirst gerächt!
ERSTER ARBEITER
Ermanne dich! Sie sind die Schufte!
Der Verurteilte zieht mit seiner Begleitung ab.
ADAM
Entsetzlich! Was gespenstert da?
Wer sagt mir, wer der Sünder ist?
Wärs die Gesellschaft, sie allein?…
Verbrechen wuchern, wo sie fault.
LOVEL
Ja, die Gesellschaft! Nimm mein Gold,
Nur laß mich nicht die Wunde hören.
Ab.
EVA
Geschwind, wir kriegen keinen Platz.
ADAM
O Dank, daß ich kein Richter bin.
Wie ist es leicht, auf weichen Kissen
Gesetze schreiben, Urteil fällen,
Doch schwer für den, der Herzen prüft,
Bis er die tiefste Falte kennt.
LUZIFER
So könnten nie Prozesse enden.
Kein Mensch tut Schlechtes, weil es schlecht ist,
Der Teufel selbst führt einen Rechtsgrund an,
Und für den stärksten hält den seinen jeder.
Der Rechtsgelehrte wird den Knoten
Durchschneiden, dessen Fäden tausend
Menschenfreunde nicht entwirren.
Unterdes sind sie an den Tower gelangt, wo in einer Nische ein Heiligenbild steht.
EVA
Nur einen Augenblick, mein Freund,
Ich will den Strauß der Jungfrau weihn.
LUZIFER beiseite.
Du laß es nicht! Wir sind verloren!
ADAM
Das fromme Kind! Ich wehr es nicht.
EVA
Ich bin gewohnt von Kindheit an,
Dies Bild zu schmücken im Vorbeigehn.
Gleich ists geschehn und eilig holen
Wir ein, was wir versäumt.
Sie heftet den Blumenstrauß an das Heiligenbild, aber er verwelkt sofort. An ihrem Hals und ihren Armen verwandeln sich die Schmuckstücke zu Schlangen und rollen hinab.
O Gott, was ist das?
LUZIFER
Ich warnte dich vergebens!
EVA
Hilfe!
ADAM
Nun ruhig, Kind, das Volk sieht her.
Den Schmuck ersetz ich tausendfach.
EVA
Hinweg! Zu Hilfe! Eine Hexe
Und schnöde Gaukler haben mich
Gemein entehrt, mich braves Mädchen!
Das Volk beginnt sich zusammenzurotten, die Zigeunerin kommt mit Polizisten.
ZIGEUNERIN
Die Kerle gaben falsches Geld,
Es schmolz zu Blei in meiner Hand.
LUZIFER
Die Hand war falsch und nicht das Geld.
Komm, Adam, hier ists nicht geheuer.
Sie verschwinden im Tower und erscheinen, während unten die Gruppe unter Tumult wächst, oben auf der Bastei.
ADAM
So täuschte ich mich wieder, wollte
Den Spuk verjagen alter Zeiten,
Den Kräften schaffen freie Bahn.
Ich stieß aus der Maschine eine
Starke Schraube, die sie fest
Zusammenhielt: die Pietät,
Vergaß, sie stärker zu ersetzen.
Ist dies ein Kampf, wo mit dem Schwert
Man sich dem nackten Gegner stellt?
Ists Freiheit noch, wo Tausend hungern,
Wenn sie des Einen Joch nicht tragen?
So hadern Hunde um den Knochen.
Ich wünschte mir in Zukunft die Gesellschaft,
Die schützt, nicht straft, die spornt, nicht schreckt,
Die mit vereinten Kräften wirkt,
Wie es die Wissenschaft erträumt,
Und deren Gang Vernunft bewacht.
Sie kommt, sie kommt, ich fühls, ich weiß…
Auf, Luzifer, in diese Welt!
LUZIFER
Weil du, beschränkter Mensch, dort unten
Nur die verworrenen Gruppen siehst,
So glaubst du, in des Lebens Werkstatt
Sei kein System vereinten Wirkens?
Wirf einen Blick mit Geisteraugen
Aufs Werk, um das sie sich bemühn,
Von dem nicht sie, nur wir den Nutzen ziehn.
Es ist finster geworden. Der ganze Markt gestaltet sich zu einer Gruppe, die in der Mitte der Bühne an einem klaffenden Grabe gräbt und um es herumtanzt, bis nach und nach alle hineinspringen, teils stumm, teils einer nach dem andern sprechend.
CHOR
Klirre, klirre, Spaten;
Heut muß das Werk geraten,
Denn morgen wär es viel zu spät.
Doch tausend Jahre gehen
Und unvollendet stehen
Wird noch das Werk, das nie vergeht.
O viele tausend Jahre!
Die Wiege und die Bahre
Sind eins, wie Heut und Morgen auch,
Eins enden und beginnen,
Verlieren und gewinnen.
Was eingeht heut, steht morgen auf.
Das Sterbeglöcklein ertönt.
Die Abendglocke läutet,
Uns ist die Ruh bereitet,
Denn unsre Arbeit ist vorbei.
Die neu erweckt der Morgen,
Die mögen sich nun sorgen,
Das große Werk beginnen neu.
DER PUPPENSPIELER
Hab die Komödie ausgespielt,
Ergötzt, doch selbst nie Spaß gefühlt.
DER WIRT
Ausgetrunken ist der Wein.
Gute Nacht ihr Gäste mein!
KLEINES MÄDCHEN
Die kleinen Veilchen sind verkauft,
Auf meinem Grab blühn neue auf.
ZIGEUNERIN
Alle wollten Zukunft schaun:
Jetzt schließen sie das Aug voll Graun.
LOVEL
Ich hatte Gold, kein Glück dazu:
Jetzt finde ich umsonst die Ruh.
ARBEITER
Sonnabend ists, die Woch zuend:
Jetzt ruht, wer nichts als Plage kennt.
SCHÜLER
Ich träumte schön, man schreckt mich auf,
Komm wieder, Traum, nichts weckt mich auf.
SOLDAT
Tapfer glaubte ich zu sein
Und stürze in ein Loch hinein.
DIRNE
Die Schminke ab, der Rausch verschwunden.
Hier ist es kalt. Ists besser unten?
ARMERSÜNDER
Fort, Ketten, oben war es schlecht:
Hier unten ahn ich andres Recht.
SCHARLATAN
Wir trogen, dünkten uns gescheit
Nun wundert uns die Wirklichkeit.
EVA
Was klaffst du, Tiefe, mir zu Füßen?
Glaub nicht, ich fürchte deine Nacht!
Mein Staub nur sinkt, weil erdgeboren,
Ich schreit dahin in Glorienpracht!
Denn Liebe, Dichtung, Jugend bahnen
Den Weg in meine ewige Welt.
Mein Lächeln nur bringt Erdenwonne,
Wenn es als Sonnenstrahl ein Antlitz hellt.
Sie läßt Schleier und Mantel in das Grab fallen und schwebt verklärt in die Höhe.
LUZIFER
Kennst du sie, Adam?
ADAM
Ach, Eva, Eva!